"Opa" entpuppt sich als Gefährte aus frühen Kindheitstagen

 

 

 

Eine Geschichte, die das Leben nur einmal schreiben kann, wenn überhaupt!

Aufgezeichnet von Franz DÖRNER, Maintal ( ehemals Sattel Haus-Nr.32, aus der Oschermühle)

 

 

 

 

Man kann an Gott, Pech, Glück, Schicksal, Zufall und an die Zahl 13 glauben, man kann es aber auch bleiben lassen und so weiterleben wie bisher. Nachfolgend erzählt Franz Dörner eine überprüfbare Geschichte, die wohl auch den ungläubigsten und rationalsten Menschen zum Nachdenken bringt.

 

Es begann damit, dass in diesem Jahr der Terrassen- und Treppenbelag in unserem Hause erneuert werden musste. Die extremen Witterungseinflüsse durch Hitze, Regen und Frost hatten ihr Werk getan und die Fugen undicht werden lassen.

 

Bereits im Frühjahr begann ich damit, mich von Fachfirmen und auch von so genannten „Fachleuten“ über die verschiedensten Möglichkeiten und Materialien beraten zu lassen. Ich ließ mir auch Prospektmaterial schicken, denn schließlich sollte der neue Belag wieder viele Jahre halten. Zu diesem Zeitpunkt der geistigen Vorbereitungen konnte ich noch nicht einmal ahnen, welche Zufälle sich mit der Auftragsvergabe wie Kettenglieder aneinander reihen würden.

 

Rein zufällig besuchte ich den befreundeten Kraftfahrtzeugmeister E. Hambuch in der Hanauer Brüder-Grimm-Strasse. Beim Betreten seiner Werkstatt fiel mir sofort der neu verlegte Werkstattboden auf, frei von Öl- und Schmutzflecken. Ich fragte ihn nach den Vorteilen, dem Preis und nach der Liefer- bzw. Herstellerfirma aus. Es bedurfte bei mir keiner langen Überlegungsarbeit und mein Entschluss stand fest. Wenn dieser Kunstharzbelag die Beanspruchung einer Autowerkstatt aushält, so auch die Witterungsverhältnisse auf unserer Terrasse. Entsprechend der Empfehlung telefonierte ich mit der Firma Franz Bachmann, Fußbodensanierung in der Eichenheege. Da sich die Firma vorwiegend oder sogar ausschließlich mit Sanierungen bei Gewerbebetrieben und der Industrie im Inland und Ausland beschäftigt, hatte ich noch nicht einmal durch Mundpropaganda etwas von dieser Fachfirma gehört, obwohl ich bereits seit 1946 im gleichen Ortsteil von Mainau wohne. Es bedurfte einiger Überredungskünste, um den Firmeninhaber Franz Bachmann zu einem Besuch und zur Annahme des Auftrages zu bewegen. Mir gelang es nur, weil ich die Empfehlung aus Hanau hatte und hier in Dörnigheim wohnhaft bin. Ich erhielt keinerlei Terminzusage und die Arbeiten sollten gelegentlich zwischen Großaufträgen eingeschoben werden.

 

Im September war es dann soweit, die Firma Franz Bachmann schickte mir drei Facharbeiter mit Material- und Werkzeugwagen. In wenigen Stunden war der alte frostgeschädigte Plattenbelag abgetragen und der Kunstharzbelag aufgebracht. Bereits in den Abendstunden war der neue Belag begehbar. Für die Treppenstufen reichte die Zeit nicht aus und es setzte auch eine Regenperiode ein. Ich nutzte die Pause für die notwendigen Vorarbeiten an der Treppe aus.

 

Nach einigen Tagen kündigte mir die Firma einen anderen, zurzeit freien Bautrupp an, der die Arbeiten an der Treppe fertig stellen sollte. Ich wartete vergeblich. Der Bautrupp hatte unterwegs zu uns einen Verkehrsunfall – so wurde uns telefonisch mitgeteilt – und die Baustelle bei mir konnte nicht angefahren werden.

 

Und es dauerte wieder einige Tage, bis das Wetter mitspielte und die Treppe durch die erste Facharbeitergruppe saniert werden sollte, die aus drei Mann der Familie HARTMANN bestand, dem 64-jährigen „Opa“, seinem Sohn und dem Enkel. Bei der Besprechung über den Arbeitsablauf fragte ich so beiläufig auch nach dem Wohnort, weil mir der Dialekt aufgefallen war. Sie verrieten mir, dass sie aus der kleinen Ortschaft Kottenheim bei Markt Nordheim in Franken kommen und von dort täglich zur Arbeitsstelle fahren. Scherzhaft meinte ich: Auch wieder einmal Leute, die aus Bayern ohne gültiges Visum einreisen, um hier in Hessen zu arbeiten. Sie warfen mir „den Ball“ mit der Bemerkung zurück, dass ich ja offensichtlich auch nicht aus Hessen bzw. Maintal bin.

 

Ich verriet nun dem „Opa“, wie sie ihn liebevoll nannten, dass ich aus dem Sudetengau stamme und ein so genannter „Rucksackdeutscher“ bin, der 1946 aus der Heimat vertrieben worden ist, und dass ich noch recht gut tschechisch sprechen könne. Der „Opa“ antwortete mir in tschechischer Sprache, dass er in der kleinen Ortschaft SATTEL im Adlergebirge mit circa 600 bis 700 Einwohnern wohnhaft gewesen und in den Westen vertrieben worden sei. Sein Sohn sei mit einer Tschechin verheiratet. Uns allen stockte fast vor Überraschung der Atem, als ich antwortete, dass die kleine Ortschaft SATTEL auch meine Heimatgemeinde gewesen sei. In der folgenden Unterhaltung stellten wir fest, dass wir in die gleiche einklassige Volksschule gegangen sind, im Jungvolk und in der Hitlerjugend gewesen waren. Wir tauschten Erinnerungen über Jungenspiele und –streiche aus.

 

Der Opa Hartmann kannte nicht nur meine Eltern und die früheren Nachbarn, sondern es stellte sich heraus, dass die „Aschermühle“ - das von meinen Eltern gekaufte Haus in Sattel - einmal seinen Großeltern gehört hatte. Mein Elternhaus hatte die Haus-Nr.32 und sein Elternhaus Nr.39 (bei Hapichan).

 

Wir sprachen auch während der Arbeit über die Erlebnisse nach dem Krieg und während der Vertreibung. Aus dem kleinen Gebirgsdorf Sattel, unserer Heimatgemeinde, wurde die Familie Hartmann später in das Frankenland in die Nähe von Würzburg vertrieben. Meine Mutter und ich hatten weniger Glück, uns transportierte man nach Dammgarten bei Stralsund. Auf abenteuerlichen Wegen flüchteten wir von Dammgarten über die Zonengrenze nach Dörnigheim, wo uns mein Vater in einer circa 15 qm „großen“ Wohnung erwartete. Der damalige Bürgermeister LAPP hatte drei Kriegsgefangene, zu denen auch mein Vater gehörte, zur Wohnung und der ersten Arbeitsstelle als Waldarbeiter verholfen.

 

Ließe sich diese Lebens- und Zufallgeschichte nicht einwandfrei nachprüfen, könnte man an  „Seemannsgarn“ glauben oder von „Anglerlatein“ sprechen. Das Schicksal hat im Leben der Menschen eigene Gesetze, an die man glauben kann oder auch nicht. Sie sind meiner Meinung nach auch nicht oder kaum beeinflussbar.

 

Wie hier geschildert, wurde unsere kleine Dorfgemeinschaft aus Sattel viele hundert Kilometer und in alle Himmelsrichtungen auseinander getrieben. Nach 56 Jahren kommt der „Opa“ Hartmann mit seinen Angehörigen, um bei seinem ehemaligen Spielkameraden die Terrasse und die Treppe zu sanieren. Es ist fast unglaublich, wie sich hier die Zufälle von der Suche eines geeigneten Belags, über die Vermittlung der Firma Bachmann durch den Kraftfahrzeugmeister Hambuch, das Arbeitsverhältnis der Familie Hartmann aus dem entfernten Kottenheim in Maintal wie eine Zufallskette ineinander fügen, wobei sogar der Verkehrsunfall der anderen Gruppe in das Zufallsbild passt.

 

Ursprünglich sollte die Arbeit wegen der einsetzenden Dunkelheit am nächsten Tag fertiggestellt werden. Aber die Hartmanns ließen mich wiedergefundenen Schulkameraden und Landsmann natürlich nicht „hängen“ und beendeten die Arbeit dankenswerterweise mit Hilfe einer Halogenlampe und trotz der bevorstehenden langen Heimreise und kurzen Nachtruhe.

 

 

Anmerkung: Der oben erwähnte Franz HARTMANN mit Familie steht auch im Mittelpunkt des Berichtes

„Ein besonderes Familienschicksal aus Sattel im Adlergebirge“.

 

 

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