Dokument eines Vertreibungsschicksals

 

 Von seinem Vertreibungsschicksal aus SATTEL 73 im Adlergebirge berichtet Franz L. (Jahrgang 1899) seinem Jugend- und Heimatfreund und ehemaligen Nachbarn Josef ZEIPELT.

 

      Lieber Josef!                                                                                          Ludwigsstadt 1969

 

Zunächst herzliche Grüße an Dich und Deine Familie. Da hatte ich mich sehr gefreut auf ein Wiedersehen an Pfingsten, aber leider kam es anders. Sonntags zuvor war ich noch bei Dörners (Briefträger) und Hoffmanns, die wollten auch mitfahren und tags darauf lag ich schon mit Fieber im Bett. Ich hatte eine Grippe ausgepackt, dass es mir so gerade reichte. Nun geht es wieder so leidlich; wenn man einmal die 70 überschritten hat, ist Krankheit anhänglicher als früher. Man hat ja auch schon allerhand hinter sich, es hätte wohl auf keiner Kuhhaut platz.

   Schon die Gefangenschaft bei den Russen und noch schlimmer bei den Tschechen hatte mich gesundheitlich fertig gemacht und das alles nach Kriegsende. Als ich nach einem Jahr heimkam, - ich hatte mir beim Eisenbahnschienenverladen ein Armgelenk herausgedreht - legte mich ein Nervenfieber hin. Diese Schmerzen will ich nicht nochmals durchmachen, das war Juli/August 46.

   Habe dann noch die Ernte herein gebracht. Aber es war unheimlich, die Nachbarn alle schon fort, mit den Türen und Fenstern schlug der Wind, denn die durften nicht zugemacht werden, geschlafen habe ich nur mit dem Handbeil im Bett. Ganze Tschechen-Banden gingen Tag und Nacht räubern.

   Bei der Aussiedlung war die Mutter so schwer krank, ich glaubte, sie wird die Strapazen nicht überstehen. Nach dem Lager und dem unmenschlichen Transport fuhren wir von Kronach bis an den Bestimmungsort, etwa 37 km, bei grimmiger Kälte auf offenen Lastautos, ich mit der Mutter oben drauf. Es nieselte und die Kleidung gefror zu Blech und Mutter wimmerte vor Schmerzen und Kälte. Spät in der Nacht kamen wir an, unser Quartier war ein Dachboden, die Wände innen bereift. Da hatte ich eine Mandelentzündung bekommen und lag und konnte nicht sprechen. Annla und Annerle gingen in den vereisten Wald um Holz, damit wir nicht erfroren.

   Im nächsten Jahr starb die Mutter, 2 Jahre später kam die Krankheit mit der Annla. Von einem Krankenhaus ins andere, Endstation Frauenklinik Erlangen. - es war Blasenkrebs. Dabei stellten sich die verschiedensten Komplikationen ein. Nach 20 Monaten konnte Annla für einige Wochen zu uns, aber nur deswegen, weil Annerle die Behandlung gründlich gelernt hatte, sonst hätte Annla die ganzen 9 Jahre Krankheit bis zu ihrem Tod keinen Tag bei uns sein können.

   Während dieser Zeit bekam ich Gelbsucht und musste ins Krankenhaus. Die Ärzte meinten, sie kommt von all zu großen Aufregungen. An denen hat es mir auch nicht gefehlt, es ging mir immer schlechter und diese Krankheit brachte mich hart an den Grabesrand, man hatte mich schon abgeschrieben. Als ich nach langen Wochen wieder bei den Kindern war, vergiftete sich Annerle bei der Erntearbeit einen Daumen, zunächst einige Wochen Krankenhaus und dann gut ¼ Jahr den Arm in der Binde. Den Winter darauf bekam Franzl heftiges Nasenbluten, das stundenlang andauerte. Ich bekam keinen Arzt heran, weil die Bergstrasse derart vereist war, dass niemand fahren konnte, ich wohnte ja damals in Steinbach an der Haide, ein entlegenes Gebirgsdorf. Wenn ich damals nicht im Medikamentenbestand von der Annla KLAUDEEN gefunden hätte, wäre mir der Junge tatsächlich verblutet, was mir auch dann der Arzt bestätigte.

   Das sind nur einige Punkte, die ich Dir da berichte, es hämmerte fast pausenlos noch vieles andere auf mich ein, die Leute sagten immer, ich sei dauernd vom Schicksal verfolgt. Solche Sachen kosten Nerven. Ich arbeitete bei der Gemeinde, für 70 Pfennige Stundenlohn, im Winter 17,20 DM Stempelgeld. Eine Fahrt nach Erlangen kostete 18 DM, ich war 42-mal dort, wie oft Annerle dort war, weiß ich nicht mehr, wahrscheinlich auch sooft. Dabei Miete zahlen und leben, wenn auch höchst anspruchslos. Ich verschaffte mir möglichste Schwarzarbeit. Habe den Bauern sumpfige Wiesen trockengelegt und stand bei jedem Wetter oft knietief im Wasser. Dann arbeitete ich wieder im Steinbruch, die Arbeit war schwer, aber wenigstens erwärmte man sich bei der Winterkälte und stand trocken. Dann habe ich wieder den Bauern die Höfe gepflastert, eben lauter Arbeit, die ich auftreiben konnte, um zu verdienen.

   Dann kam der Schulbau im Dorf, ein ganz großer, moderner Bau. Die Gemeinde baute in eigener Regie, aber keiner von den Bauern mitsamt dem Bürgermeister hatte Zeit für den Bau. Da gingen sie mich an, den Materialeingang zu führen, die Lohnabrechnung zu machen sowie die Abzüge zu berechnen. Letzteres fiel mir anfangs etwas schwer, außerdem kamen dauernd Kontrollen von Arbeitsamt, Krankenkasse und Finanzamt, da mussten meine Bücher genau stimmen. Nun bekam ich langsam Oberwasser in meinen Verhältnissen, da ich nun die Stunde 2,50 DM Lohn hatte. Nach 2 Jahren war der Bau fertig und ich bin hineingezogen, so als eine Art Hausmeister. Habe die Zentralheizung bedient und Annerle hat die Reinigung übernommen. Es passte gut, da sie ja bei der Mama sein musste.

   Selber war ich dann in dem Nährmittelwerk „WELA“ in Ludwigsstadt untergekommen. Da habe ich früh um ½ 5 Uhr den Kessel in der Schule betriebsfertig gemacht, dann 5 km nach Ludwigsstadt in die Arbeit marschiert. Die Arbeit dort hatte ich körperlich nicht schwer. Mein Abteil war so ein Stück Herz der Fabrik. Ein alter Leiter hat mich anfangs eingearbeitet. Da hüpften eine Menge Zeiger herum wie tausend kleine Teufel und man musste höllisch aufpassen. Nach und nach habe ich das ganze beherrscht und dann mit einem Gehilfen durch 11 Jahre allein weitergemacht.

   Als Annla verstorben war, brauchte ich Ablenkung und kaufte in Ludwigsstadt einen Bauplatz, der verschlang meine Ersparnisse. An Lastenausgleich waren mir etwas über 5000 DM zuerkannt, bekommen habe ich 2000 DM, weil ein Teil der Klinikkosten davon abgedeckt werden mussten. Ich musste den Bau 2 Jahre hinausschieben, um wieder Geld zu machen. Franzl diente bei der Bundeswehr während des Baues und Annerle hatte ich einen Arbeitsplatz in meinem Betrieb verschafft, wo ich bereits sehr festen Fuß gefasst hatte. Mit dem Fabrikherrn (Busch) verstand ich mich sehr gut, ein großer Vorteil für mich. Er borgte mir auch zinslos 5000 DM für den Bau auf 20 Jahre Rückzahlung. In den Jahren 62-63 habe ich dann gebaut, unter vielen Schwierigkeiten, aber ich bin sehr hart geworden und habe das Zähnezusammenbeißen gelernt. Meine Lebensaufgabe sah ich noch darin, den Kindern ein eigenes Dach zu schaffen und es ist mir Gott sei dank noch gegönnt gewesen. Ich muss nun wieder bis morgen aussetzen mit dem Schreiben, wenn ich länger das Augenglas benutze, schmerzen mir die Augen und die Schrift wird immer schlechter.

   Ich habe überhaupt nur wenigen geschrieben, solange wir in der Fremde sind, ich glaube, ich schreibe gegenwärtig das meiste Dir. Ich war auch die ganzen Jahre nicht fort, nur ab und zu bei meiner Schwester. Ihr mittlerer Sohn Franzla hatte in Schwarzenbach/Wald ein Haus gebaut und schuftete auch unermüdlich. Dann starb der Schwager, dann sein Sohn Rudi in der Ostzone und dann Sohn Franzla, Sohn Emil war ja gefallen. Nun war meine Schwester allein bei der Schwiegertochter und heuer am 2. Februar ist sie verstorben – Alle tot und wie lange noch und man ist auch an der Reihe.

   Heute will ich nun wieder ein Stückchen weiter schreiben. Vor 4 Jahren heiratete die Annerle und ich habe eine liebe kleine Enkelin von 3 Jahren und ich spiele Kindermädchen mit viel Hingabe. Mein Schwiegersohn Waldemar ist Dachdecker. Er brachte ein Auto mit und so mussten wir eine Garage bauen, leider in meinem Garten, der uns fürs ganze Jahr mit Gemüse versorgt. Gärtnerei ist mein Hauptspaß. Auch habe ich wieder eine Werkstatt eingerichtet, wo im Winter viel Späne fallen. Heuer im Januar hat Franzl geheiratet. Nachdem meine Mieter ausgezogen waren, habe ich ihm die untere Wohnung neu hergerichtet, die jungen Leute sind sehr anspruchsvoll. Franzl ist Polsterer und verdient sehr gut, sein junges Frauchen Rosemarie arbeitet in einer Wäschenäherei. Sie ist übrigens die Schwester von Waldemar. Ich werde nun meinen jungen Leutchen das Haus übergeben und nur meine Stube für mich behalten.

   Die Schuldenlast ist weitgehend herabgedrückt und so tun sie sich nicht mehr schwer. Meine Rente betrug anfangs 127 DM, jetzt 170 DM. Außerdem gibt mir mein Fabrikherr eine monatliche Rente von 100 DM. Er weiß wofür! So habe ich genug für mich und gebe den Kindern noch viel davon. Es war nun Zeit, dass alles soweit geschaffen ist, denn die Spannkraft hat bedenklich nachgelassen, ich trage noch immer an der letzten Grippe.

Nun muss ich schließen, schreiben könnte ich ein ganzes Buch!

 

Der Briefschreiber verstarb plötzlich am 17. Juni 1969, ehe seine Nachricht vollendet und abgeschickt werden konnte.

 

Startseite