THEATERLEBEN

 

ERINNERUNGEN und ERLEBNISSE

 

Verfasst 1991 von FRITZ VOGEL, Sattel Nr.106

 

Um nicht alles aus meinem eigenen Gedächtnis schöpfen zu müssen, erkundigte ich mich an drei Stellen, was für Erinnerungsstücke noch vorhanden seien, und erfuhr von ZEIPELTS Nora, dass ihr Vater (Jos. ZEIPELT, H.Nr.61) immer den jugendlichen Liebhaber gespielt habe. Hofe-Seffa EDI schrieb mir aus Stralsund, dass sich seine Mutter (Schindler, H.Nr.121), noch gut an die Theaterzeit  erinnert, auch an die Namen der Stücke, die damals gespielt wurden, nämlich: „Annenruhe“, „Nat Pinkerton“, „Himmelhof oder Hummelhof“; „Lumpaci-Vagabundus“, „Der Ehemann unter  dem Weihnachtstisch“, „Hans und Grete“, „Der Leiermann und sein Pflegekind“ und mit großem Erfolg „Das Krippenspiel“ und noch andere.

 Auch beim jetzigen Sattler Vorsteher (Frant. Patek jun.) habe ich mich nach eventuell noch auffindbaren Zeugnissen aus der Theaterzeit erkundigt und siehe da, er schickte mir nicht nur 18 Theaterplakate, handgezeichnet und beschriftet (Kopien) aus den Jahren 1898 bis 1901, sondern teilte mir mit, dass er ebenfalls persönlich sehr daran interessiert sei, näheres aus der Geschichte der Gemeinde SATTEL zu erfahren. Bei diesen 18 Plakaten befindet sich auch die Ankündigung des Stückes „Annenruhe“.

 

Auf einigen Plakaten sind neben den Namen der handelnden Personen die Namen der Schauspieler angegeben und da wird sich EDIS Mutter freuen, wenn sie hört, dass damals schon der alte Vorsteher (Joh. VOGEL, H.Nr.21), der Kerchazeuner oder seine Frau (ZEUNER H.Nr.5) mitspielten, aber auch Eleonora VOGEL (Gasthaus, H.Nr.106 mit Saal, wo die Aufführungen stattfanden), Fräulein Anna WERNER (die spätere Frau Oberlehrer HARTWICH) und Fräulein Adi SWOBODA (die spätere Frau von Schmids Naza Franz).

 

 

 

 Aus meiner Jugendzeit kann ich mich an die MERGANZ Milla, H.Nr.128, Davida-Honsa Mariela (LIWAR, H.Nr.67), Drela Frieda (VOGEL, H.Nr.2), Herzichla Ella (Gabriele HERZIG, H.Nr.141), den Zeipala (Josef ZEIPELT, H.Nr.61), den Scholzhonsla, (Hans SCHOLZ, H.Nr.33), den Teschlerfriedel (Ferdinand HARTMANN, H.Nr.25) und einige weitere Darsteller erinnern.

 Es muss also schon vor 1898 alles vorhanden gewesen sein, was man zum Theaterspielen brauchte: Bühne, Kulissen, Vorhang und eben ein talentierter Stamm von Schauspielern. Alles, was auf kunstfertige Weise hergestellt werden musste, wurde von Sattler-Meistern geschaffen. Der Vorhang zur Seite und die Kulissen stammten vom Scholztonla, H.Nr.33, der ja auch das MARIEN-HEILIGENBILD gemalt hat, das gleich vorne links im Sattler Kirchenraum hängt. Die elektrische Einrichtung für die Bühne wurde vom Sattler Lehrer Franz HERZIG (Herzicha Franzla, Sohn des Kaufmanns Herzig, H.Nr.105) so vervollkommnet, dass man auch das Heraufdämmern des Morgens oder den Einbruch der abendlichen Dunkelheit anschaulich machen konnte. Ich habe damals zugeschaut, als man die Widerstandsdrähte – man nahm Blumendraht dazu - um Bleistifte wickelte. Die Kontakte für die Widerstandsregler bestanden aus Zehnhellerstücken tschechischer Währung, die sich Franzla bei der PIETERLICHEN (Bettlerin aus dem Armenhaus Nr.8, W. HARTMANN) eingewechselt hatte.

 Außer den rein materiellen mussten auch die künstlerischen Voraussetzungen geschaffen werden. Oberlehrer HARTWICH suchte die Stücke aus und schrieb die Rollen für jeden heraus. Durch wen die Akteure ausgewählt wurden, weiß ich nicht. Es folgten die ersten Leseproben in der Gaststube oder im Hinterstübchen, dann die Bühnenproben.

 

Theater gespielt wurde zu meiner Zeit nur im Winter, im Saale war es also kalt. Meine Mutter sagte dann zum WALSCHLA (Gemeindebote, Schuldiener, Anton WALSCH, H.Nr.155): „Walschla, hoite uf a Oomd is Theaterpruve. Tutt ok m Saala antlich foier macha, doß se ne friesa!“. Er hatte noch zahlreiche Nebenberufe, waltete aber im Saal seines Amtes: Er rückte den ungeschlachten Blechofen, der den ganzen Sommer über an der Wand stand, weiter zur Mitte des Saales, setzte die entsprechenden Rohre an, holte Holz und machte Feuer. Da mussten nun allerdings allerhand Scheite verfeuert werden, bevor man im Saale ein wenig Wärme spürte.

 

Die Probe nahm ihren Lauf. Wer dran war, ging auf die Bühne. Die anderen saßen im Saal um den Ofen. Mit der Zeit wusste jeder Darsteller, wann er durch welche Tür die Bühne betreten, auf welches Stichwort hin er zu wem was sagen und zu welcher Tür er nach seiner Szene die Bühne wieder verlassen musste. Es gab auch Szenen, wo der Wilderer auf der Bühne sein Gewehr anlegte und –nein zu schießen brauchte er nicht, auch bei der Hauptaufführung nicht, - denn es war ja WALSCHLAS Aufgabe, hinter den Kulissen im richtigen Augenblick ein Brett zu Boden zu schmettern. Es gab auch Szenen, bei denen die Bäuerin mit dem Aufschrei: „Jesus, der Hof brennt!“ in die Richtung deuten musste, in der der Walschla schon hinter den Kulissen stand und laut Anweisung des Regisseurs so kräftig an seiner Tabakpfeife zog und Rauch auf die Bühne blies, dass man vom Saale aus die Rauchwolken zwischen den Kulissen hervorquellen sah.

Schließlich kam der Tag der Aufführung. Zeitig genug hatte der Walschla den Saal geheizt, hatte das Feuer wieder ausgehen lassen und den Blechofen wieder an die Wand gerückt. Zur Aufnahme des zahlreichen Publikums wurden lange Bretter auf Untersätze gelegt. Das ergab zwar keine bequemen Sitze, doch waren die Plätze wenigstens nummeriert. Im Hausflur vor dem Saal verkaufte Herr TSCHINKEL, Theatermitarbeiter, von Beruf Kunstmaler H.Nr.103, die Eintrittskarten.

 

 

Die Vorstellungen waren wohl immer ausverkauft, denn es wurde ja nicht nur den Freunden der Schauspielkunst etwas geboten, sondern es war ja anschließend noch „MUUSIK“, das heißt, es wurde noch bis in die Nacht hinein getanzt.

 Auf der ersten Bankreihe vor der Bühne saß die Sattler DORFKAPELLE und wartete nur auf das Zeichen, um mit einem schneidigen Stück den Auftakt zu den tragischen oder lustigen Ereignissen zu geben, die sich nach dem Aufziehen des Vorhangs unter atemloser Spannung des Publikums auf der Bühne abspielen sollten.

 

 

 Der Eindruck war jedes Mal tief, der Beifall für die Schauspieler war jedes Mal rauschend.

 Hier wäre natürlich Gelegenheit, sich ein wenig über kleine Regiefehler lustig zu machen, zum Beispiel darüber, dass der Schuss erst Krachte, nachdem der Wilderer das Gewehr lange genug im Anschlag gehalten und danach aus Enttäuschung schon wieder abgesetzt hatte, oder dass der Held des Stückes, als er den Bösen entlarvte, vollkommen vergaß, diesem die Perücke und den falschen Bart abzureißen, aber was machte das schon, man lachte trotzdem darüber.

 So schön das Stück auch gewesen sein mochte – ein ebenso schöner, wenn nicht noch schönerer Teil schloss sich an: DIE MUUSIK. Die Bänke wurden weggeräumt, die Kapelle übersiedelte auf die Bühne, die Dielen wurden mit Tanzbodenglätte bestreut, Tische und Stühle zurechtgestellt und bald drehten sich die ersten Paare zu den feurigen Klängen eines „Teschneier Dreher“, zu einer höchst stimmungsvollen Walzermelodie oder zu den sonst damals noch modern gewesenen Stückchen, nicht vergessen, eine flotte Polka!

 Jetzt wurde es gemütlich. Man saß an Tischen auf bequemeren Stühlen oder Bänken als vorhin, aus dem Schenkhäuschen wurden Getränke gebracht, etwa Bier, Schnaps und „Warmer“, das war Grog. Alkoholische Getränke flossen zwar nicht gerade in Strömen, aber doch reichlich genug, um einige Zechbrüder bald in eine benebelte oder streitlustige Stimmung zu versetzen. Auch die Musikanten müssen wohl ab und zu einen überschüssigen Schluck Ansatzwasser getrunken haben, denn je später die Stunde schlug, desto übermütiger wurden die Triller von Friemalas Klarinette, desto vorwitziger schmetterte Mach Hugos Trompete, desto entschiedener untermalte der Maderla alles mit seinem Bass, nicht zu vergessen die fröhlichen Töne vom Scholzla und Eschnerla und noch anderen, bis schließlich – zu vorgerückter Stunde – die Tänzer und Musikanten ein Herz und eine Seele wurden, die Musikanten sich unter die Tanzenden mischten, sich zu eigenen Klängen selbst im Kreise drehten und alles zu einem Hymnus aus Klang, Bewegung und Glückseligkeit zusammenfloss.

 Die allgemeine Gemütlichkeit ließ genügend Raum für kleine Extravaganzen. Der eine spendierte der Kapelle eine Runde, um eine Damenwahl zugesprochen zu bekommen und sich dadurch überzeugen zu können, dass „seine“ Dame ihn auch wirklich wählte. Der andere benutzte die Gelegenheit, um einer Schauspielerin von vorhin, unter vier Augen seine besondere Bewunderung auszusprechen und sich dabei von der spendabelsten Seite zu zeigen. Und wenn es bei einer solchen Musik auch gelegentlich zu kleineren Raufereien kam, so war es doch andererseits vielleicht ein passender Abend, um endlich einen Streit beizulegen, der schon lange bedrückend geglommen hatte.

 Möglicherweise wird jemand, der dies heute liest, fragen: „Ja, wo hatten denn diese Leute das Geld her, um dies alles auf die Beine zu stellen?“ Es muss doch wohl anerkannt werden, dass so ein Theaterabend für ein Dorf in einem Notstandsgebiet eine große kulturelle Leistung war, die für alle Beteiligten auch ihre Früchte trug, indem sie den Blick aus dem arbeitsreichen Dorfalltag hinauslenkte und mit anderen Lebensverhältnissen, mit anderen Sorgen und Nöten, nicht zuletzt auch mit der „Vornehmheit“ bekannt machte, die man ja zu Hause nur vom Hörensagen kannte.

 Soweit diese kulturelle Leistung auf menschlicher Arbeit beruhte, kostete sie wenig oder nichts, denn damals fragte man keineswegs so nachdrücklich wie heute nach Lohn für seine Mühe. Das gute Gelingen, der reichliche Applaus der Dorfgemeinschaft reichte vielen Ehrenämtern zum Wohl der deutschen Heimat, die ihr Bestes gaben. Vielleicht ist das ein Standpunkt, den man sich wieder zu eigen machen sollte.

 In der Vergangenheit zu kramen, ist meist deshalb angenehm, weil man sich an das Gute noch lange erinnert, das Schwere und Unangenehme aber – Gott sei Dank – vergisst.

  Damit möchte ich die Erinnerung an das Sattler Theaterleben ausklingen lassen.

 

 

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